Der Unfall

Es war am Nachmittag des 1. Oktober 2012, als es passierte.

Ich war in meinem Wagen unterwegs zu einem Zahnarzttermin und befuhr die Landstraße zwischen Peißenberg und Weiheim. Kurz vor Oderding beschreibt die Straße eine Kurve - für mich war es eine Linkskurve. Auf der Gegenspur kamen mir etwa zehn Fahrzeuge entgegen, vor mir fuhr in etwa fünfzig Metern Entfernung ein PKW. Meine Geschwindigkeit betrug 80 km/h.

Ich fuhr in die Kurve ein, und urplötzlich tauchte vor mir ein Fahrzeug auf, das einen Lastwagen überholen wollte. Das geschah so plötzlich, dass jede Reaktion unmöglich war. Ich dachte nur noch "Gleich knallt's", und schon passierte der Frontal-Zusammenstoß. Mein Wagen überschlug sich mehrmals und kam auf einer Wiese glücklicherweise auf den Rädern zum Stehen. Ich dachte nur "Das wird teuer!"

Sei es durch den Schock, ich hatte während des ganzen Geschehens keinerlei Angst oder Schmerzen und war während des ganzen Geschehens bei vollem Bewusstsein. Ich hatte auch keine Todesangst, was man annehmen würde. Den ganzen Unfallhergang erlebte ich, als ob ich ihn als Außenstehender beobachten würde. Ich weiß noch, dass ich sehr interessiert den aufgegangenen Airbag betrachtete.

Die Polizei war sehr schnell vor Ort, subjektiv bereits nach ein bis zwei Minuten. Wie man mir später mitteilte, war ein Streifenwagen der Weilheimer Polizei zu Ermittlungen in Peißenberg und auf dem Rückweg nach Weilheim. Er muss also nicht allzu weit hinter mir auf der Straßen gefahren sein, die Beamten konnten sofort die Straße sperren und die Feuerwehr alarmieren.

Ein Polizist sprach mich an und fragte, wen sie benachrichtigen sollten, worauf mir nichts Besseres einfiel, dass sie beim Zahnarzt anrufen und ihm mitteilen sollten, ich käme etwas später zur Behandlung ...

Kurze Zeit später kam die Feuerwehr (wie die Polizei mir später mitteilte, seien siebzig Feuerwehrleute im Einsatz gewesen). Zum ersten Feuerwehrmann sagte ich, er möge doch bitte die Fahrertür öffnen (sie war verklemmt), weil ich aussteigen wollte. Natürlich ein Ding der Unmöglichkeit, denn ich war an den Beinen eingeklemmt. Doch unter Schock verspürte ich keinerlei Schmerzen.

Rund zweieinhalb Stunden dauerte es, bis mich die Feuerwehr endlich aus meinem Autowrack befreit hatte, nachdem sie zunächst das Dach abschnitten und aus meinem Wagen ein Cabrio machten. Kurz bevor sie mich aus dem Wrack zogen, betäubte man mich, dann wurde ich mit dem ADAC-Rettungshubschrauber, der die ganze Zeit auf der Wiese stand und wartete, in die Unfallklinik nach Murnau geflogen. Durch die Betäubung konnte ich den Hubschrauberflug leider nicht genießen.

Die Fahrerseite meines Wagens: Hier saß ich drin!

Als ich in der Unfallklinik in einem Bett wieder zu Bewusstsein kam und die Ärzte um mein Bett standen, fragte ich sie, was ich denn eigentlich für Verletzungen habe, denn es tat mir ja nichts weh, aufgrund des Schocks und der verabreichten starken Schmerzmittel. Sie erzählten mir, dass meine Sprunggelenke gebrochen seien, woraufhin ich antwortete, sie mögen sich beeilen, diese zu reparieren, ich müsste morgen um 16 Uhr am Flughafen München sein, weil ich nach Ägypten fliegen wollte. Die Ärzte meinten, das sei nicht so schnell machbar, sie müssten meine Knochen verschrauben. "Macht auch nichts", meinte ich, "Sie können mir die Schrauben mitgeben, ich habe zuhause einen Akkuschrauber und kann sie mir selbst reindrehen". Auf dieses Angebot ließen sich die Ärzte allerdings nicht ein. Unter Schock kommt man auf die merkwürdigsten Ideen.

Rückblickend muss ich sagen, dass ich - wohl aufgrund der verabreichten Schmerzmittel - zu diesem Zeitpunkt immer noch keinerlei Schmerzen hatte. Ich hatte das Gefühl, aufstehen und nach Hause gehen zu können. Die Schmerzen kamen dann erst nach etwa zwei Tagen, als der Schock abklang und die Betäubungsmittel nachließen. Und die Schmerzen waren wirklich brutal. Mein ganzer Körper schmerzte, von Kopf bis Fuß. Ich hatte überall Prellungen, die sich jetzt bemerkbar machten. Am Schlimmsten war das Schleudertrauma. Bei der kleinsten Bewegung irgend eines Körperteils durchfuhr mich ein Schmerz in die Halswirbel-Region, als wenn mir dort jemand ein Messer hinein rammen würde. Da brachten die verabreichten Schmerztabletten nur wenig Linderung.

Die Schmerzen wurden erst nach etwa zwei Wochen einigermaßen erträglich. In den Sprunggelenken hatte ich nun ein Schraubensortiment und durfte sie nicht belasten, was ausgesprochen unangenehm war, weil ich nicht zur Toilette gehen konnte/durfte. Das spielte sich alles im Bett ab.

So etwa nach der zweiten Woche konnte ich mich unter starken Schmerzen in einen Rollstuhl begeben und damit zur Toilette oder zu Behandlungen fahren. Man kann es sich als "Gesunder" nicht vorstellen, wie es ist, wenn man sich vor Schmerzen nicht richtig bewegen kann, und dann vom Rollstuhl aus auf die Toilettenschüssel umsteigen will. Und man muss hinterher ja wieder auf den Rollstuhl zurück! Es fängt schon damit an, dass man nur durch Rangieren die enge Kurve ins Bad schaffen kann - das macht viel Spaß, wenn jede Bewegung schmerzt! Im Bad selbst gibt es zwar viele Haltegriffe, die jedoch völlig falsch angebracht sind, sodass man sie aus dem Rollstuhl kaum erreicht. Außer zur Toilette will man sich ja auch täglich waschen und die Zähne putzen. Als "Gesunder" kann man kaum nachempfinden, welche Probleme und Schmerzen allein beim Zähneputzen entstehen, wenn man ein Schleudertrauma hat.

In der vierten Woche durfte ich dann Gehversuche mit den "Unterarmgehhilfen" (Krücken) machen. Ich lernte, mit diesen Dingern zu laufen, was nach einiger Zeit auch ganz gut, wenn auch sehr langsam und immer noch schmerzhaft funktionierte. Die ganze Muskulatur bildet sich sehr schnell zurück, wenn man einige Wochen im Bett verbringt oder sich im Rollstuhl bewegt. Mit der Rückbildung fehlt dann auch die Kraft in den Beinen. Hinzu kam natürlich noch, dass ich meinen linken Fuß nur mit maximal 20 kg belasten durfte, also so gut wie nicht.

Dann wurde ich in die Reha-Klinik in Oberammergau entlassen, wo ich bis zum 10. Dezember blieb und mich dort überwiegend im Rollstuhl bewegte. Zwischenzeitlich musste ich nochmal zurück nach Murnau, damit die "Stellschrauben" entfernt werden konnten. Der Rest des Schrauben-Sortiments blieb drin und wurde erst später entfernt. Am 10. Dezember entfernte man dann die Operationsfäden und entließ mich nach Hause.

Endlich wieder daheim! Doch so einfach war das nicht. Treppen laufen mit den Krücken ging ja noch, wenn auch langsam - ich hatte es ja gelernt. Doch ich benötigte ja auch Brennmaterial, das ich nicht hochschaffen konnte (es war schließlich Winter!). Dazu fehlt ein dritter Arm! Es musste auch mal Wäsche gewaschen werden, doch meine Waschmaschine und der Wäschetrockner stehen im Keller in der Waschküche, und ich wohne im 2. Stock, ohne Aufzug.
Wenn man schön vorsichtig mit zwei Krücken eine Treppe hinauf oder hinunter geht, hat man keine Hand frei, um noch irgend etwas tragen zu können. Mit einer Umhängetasche ist man dann froh, wenigstens kleinere Dinge transportieren zu können. Und ohne Auto ist man auf dem Dorf völlig hilflos. Taxi zum Hausarzt? Fehlanzeige. Aber ich will hier nicht rumjammern. Dank meiner hilfsbereiten Freunde hat schließlich alles geklappt.

Nach einem Jahr regelmäßiger Krankengymnastik bin ich heute wiederhergestellt. Außer einem Taubheitsgefühl am rechten Unterschenkel und einigen Narben ist zum Glück nichts zurückgeblieben.

Danksagung

Am meisten danke ich meinen Schutzengeln, ohne deren Eingreifen ich diesen Unfall wohl kaum überlebt hätte (andere Menschen mögen andere Bezeichnungen für sie haben).
Es hätte nämlich auch alles ganz anders ausgehen können, etwa mit einer Querschnittslähmung, wenn nicht schlimmer. Es ist ein wunderbares Gefühl, wenn man weiß, dass man diese Schutzengel hat!
Schutzengel greifen nicht nur direkt ein. Sie melden sich auch, um uns vor negativen Geschehnissen zu warnen. Dies in der Form, dass man plötzlich das Gefühl hat, irgend etwas besser nicht zu tun. Ein ganz unauffälliges Gefühl, das von manchen auch als "Bauchgefühl" gedeutet wird. Leider achten wir in unserer heutigen schnelllebigen Zeit kaum noch darauf, mit manchmal verheerenden Folgen. Letztendlich haben wir einen freien Willen, der auch von Schutzengeln respektiert wird, auch wenn dieser freie Willen zu unserem Nachteil ist. Schutzengel warnen uns, und wenn wir diese Warnung ignorieren, sind wir selbst schuld.

Ich danke den vielen Männern und Frauen der freiwilligen Feuerwehren, die bei dem Unfall im Einsatz waren, für ihre uneigennützige Arbeit!

Dem ADAC danke ich, dass er Rettungshubschrauber bereit stellt, mit denen Schwerverletzte schnell in Unfallkrankenhäuser geflogen werden können. In der Unfallklinik Murnau erlebte ich, dass die dort stationierten Hubschrauber täglich bis zu zehnmal im Einsatz waren. Man macht sich als Außenstehender keinen Begriff davon, wie viele Unfälle mit Schwerverletzten passieren!

Und ich danke von ganzem Herzen allen Freunden und Bekannten, die mich in dieser langen Klinikzeit und auch danach unterstützten, halfen und mir Mut zusprachen!

Gernot L. Geise


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