Einleitung

Es war im November 1972, als ich während eines Mallorca-Urlaubes in El Arenal an der Meeresküste entlang spazieren ging, eigentlich nur, um zu sehen, wie die Küste in Richtung Cala Blava aussieht, und um einen schönen Spaziergang zu machen.

Am Rande des Villenviertels von El Arenal, an der Ostseite des Touristenortes, ging die Landschaft in steiniges, mit struppigem Unterholz bewachsenes Gelände mit einigen Trampelpfaden über. Vor mir lag ein - wie es aussah - unbearbeitetes Stück Landschaft. Dann, urplötzlich, stand ich ziemlich erschrocken vor einem Abgrund. Ohne eine Vorankündigung tat sich vor mir der Boden auf, vier, fünf Meter tief. Neugierig geworden ging ich weiter, und ich dann stand vor einem Felskomplex, aus dem eine auf dem Kopf stehende Treppe herausgehauen war.

Kopfschüttelnd ging ich zurück zum Meer. Direkt an der Steilküste stolperte ich über rechteckige Plattenausschnitte, rechtwinklige Felswandbearbeitungen, steinerne Rutschen ohne Sinn ... es war ein überwältigendes Panorama, das merkwürdigerweise in keinem Reiseführer aufgeführt war.

Von den für mich interessantesten Ecken machte ich damals ein paar Erinnerungsfotos, die später in einem Urlaubsalbum verschwanden und, zurückgekehrt in den Trott des Alltags, hatte ich diese Anlage bald vergessen.

Bis ich im Jahre 1984 wieder einmal auf Mallorca Erholung suchte. Irgendwann, als ich am Strand in der Sonne briet, fiel mir die Anlage bei Arenal wieder ein. Natürlich musste ich wieder hin, nachsehen.

Filme, Kameras waren schnell zusammengepackt, ein Leihwagen gemietet und - wie es sich dann ergab - der Rest meines Urlaubes spielte sich nur noch zwischen Arenal und Cala Blava ab. Wiederum war ich völlig fasziniert von der Weitläufigkeit und der enormen Vielfältigkeit der Anlage mit ihren Ausschachtungen und Felsbearbeitungen. Mit reicher Film- und Fotoausbeute kam ich zurück nach Hause, und es machte sich in mir immer mehr die Gewissheit breit, dass es sich hier keinesfalls um einen gewöhnlichen Steinbruch handeln konnte, wie mir auf meine Nachfragen hin von Einheimischen und der Reiseleitung gesagt wurde, sondern um eine frühgeschichtliche Anlage.

Im Juli 1987 flog ich ein weiteres Mal hin, diesmal gezielt, um weitergehende Untersuchungen an der Anlage vorzunehmen. Ich hatte mich darauf vorbereitet, u. a. um Steinproben zu sammeln, um das dortige Höhlensystem zu vermessen, so gut ich konnte, und war mit Kompass, Video-Kamera, Fotoausrüstung und weiterem Werkzeug bewaffnet.

Doch vor Ort traf mich fast der Schlag, ich musste voller Entsetzen feststellen, dass inzwischen Baukolonnen angerückt waren. Quer durch das Gelände waren Straßentrassen geschlagen und Kanalisationsrohre verlegt worden. Bis zu dreißig Meter breite Schneisen mit Querverbindungen, die an den Kreuzungspunkten zu großen Plätzen erweitert worden waren, zogen sich vor meinen Augen über das Gebiet hin. Man hatte bereits begonnen, weiter in Richtung Cala Blava die bestehende Anlage großflächig einzuebnen, weil auf diesem Gelände ein Vergnügungspark für Touristen entstehen solle, wie ich erfuhr. Auf den Geländeteilen, die noch nicht zerstört waren, fand ich überall hölzerne Vermessungspflöcke im Boden. In einer der größeren Höhlen fand ich frisch angelegte Sprenglöcher in den glatten Wänden, die darauf hindeuteten, dass auch diese Höhlen zum Einsturz gebracht werden sollten. So weit es noch möglich war, stellte ich meine vorgesehenen Messungen an, ich filmte und fotografierte, was noch nicht zerstört war.

Diese Anlage wurde dem Boden gleich gemacht. Es wurde zwar kein Vergnügungspark angelegt, sondern teure Villen-Anlagen. Nichts mehr erinnert an die Anlage, nur Felsbearbeitungen an der Steilküste in Meereshöhe. Das entspricht bestenfalls noch rund zehn Prozent des ehemals Vorhandenen.

Somit haben meine alten Aufzeichnungen, meine Fotos und Filme ungewollt dokumentarischen Wert erhalten.


© 2004-2013 Gernot L. Geise


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